“Der Exorzist” – Kritik

DerExorzistPosterAutor: Leonhard Balk

William Friedkins („The French Connection“) Horror-Klassiker „Der Exorzist“ beginnt mit einer überraschend langer Sequenz im Norden des Iraks. Dort treffen wir zum ersten Mal auf den Jesuitenpater Lancaster Merrin (gespielt von Bergmann-Muse Max von Sydow), der eine Ausgrabung in den Ruinen eines alten Tempels übersieht. Die Sonne brennt vom Himmel herunter, die Stadt ist lebendig mit dem bunten Treiben verschiedener Märkte. Eigentlich so ganz und gar nicht passend für die Eröffnungssequenz eines Horrorfilms. Doch plötzlich verwandelt sich der Lärm der Stadt in ein ahnungsvolles Brummen. Merrin entdeckt die Überreste einer kleinen Statue, die ihn mit einer dämonischen Fratze angrinst. Und auf einmal wächst ein unerklärliches Unbehagen sowohl bei Pater Merrin als auch beim nichtsahnenden Publikum. Friedkin ignorierte die Vorschläge seiner Produzenten und behielt diese Szene im Film bei, baute sie sogar auf gute acht Minuten aus. Selten schafft es ein Horrorfilm so schnell und effektiv eine Stimmung des kommenden Übels zu übermitteln wie in „Der Exorzist“. Man weiß, irgendetwas furchtbares ist hier zum Vorschein gekommen und niemand ist sicher, denn das Böse könnte überall lauern…

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Die geschiedene Schauspielerin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) dreht einen Film in Washington und muss somit mit ihrer 12-jährigen Tochter Regan (Linda Blair) in die Hauptstadt ziehen. In ihrem neuen Haus, umgeben von Bediensteten, versucht Chris ihre Tochter an ein Leben ohne ihren Vater zu gewöhnen. Dieser ist nach Europa abgehauen und verweigert jedweden Kontakt. Für die Familie verschlimmert sich die Situation jedoch noch mehr, als Regan plötzlich bei einem Arztbesuch anfängt sich seltsam zu verhalten. Ärzte tippen zunächst auf eine Verhaltensstörung, dann auf neuronale Schäden, doch die Untersuchungen ergeben nichts Konkretes. Und trotzdem verschlimmert sich der Zustand des Mädchens. Am Rande der Verzweiflung wendet sich die besorgte Mutter letztendlich an den Pater Damian Karras (Jason Miller) und bittet ihn einen Exorzismus an ihrer Tochter durchzuführen.

Ohne das Wort „Exorzismus“ würde diese kurze Beschreibung der Filmhandlung sicherlich wie der Ausgangspunkt für ein gewöhnliches Familiendrama à la „Kramer gegen Kramer“ klingen. So versichert auch Regisseur William Friedkin seinen Fans fortwährend, dass „Der Exorzist“, trotz seines Status als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten, gar nicht gruselig sei. Er sei, laut verschiedener Berichte, sogar überrascht gewesen als im Erscheinungsjahr 1973 Leute vor Schrecken aus dem Kino flohen. Kurioserweise ist sein Unverständnis vollkommen verständlich: „Der Exorzist“ ist nämlich gar kein Horrorfilm, jedenfalls nicht im gewöhnlichen Sinne.

Friedkins Klassiker bezieht seinen Gruselfaktor nämlich aus dem emotionalen Drama um seine Hauptfiguren, deren Ängste sich in der Form der dämonischen Besessenheit manifestieren. Dabei spielen Schuldgefühle eine ausschlaggebende Rolle. So verbringen wir noch vor dem Exorzismus einige Zeit mit Pater Damian, der seinem Kollegen in einer Szene beichtet,  er habe seinen Glauben verloren. Damien beherbergt gegenüber seiner Mutter tiefe Schuldgefühle. Diese ist während seiner Abwesenheit einer geistigen Krankheit verfallen. Mit all diesem emotionalen Ballast betritt Damien zusammen mit dem älteren Exorzisten Lancaster Merrin den Raum des Bösen. Und so bangen wir als Zuschauer nicht nur um Regans Leben, sondern auch um das Wohlsein der Leute um sie herum. Denn alle Figuren in der Geschichte von Drehbuch (und Roman)-Autor William Peter Blatty haben ihre Schwächen und können somit auch vom Bösen verführt werden.

Anders als in vielen Horrorfilmen gibt es in „Der Exorzist“ keine traditionelle Monster-Figur, sondern ein ominöses Übel. Dieses wird zwar durch die kranke Regan personifiziert, doch die wird fortwährend als Patient behandelt. Die möglichen Auswirkungen auf alle Betroffenen, inklusive des besessenen Mädchens, ist dabei viel gruseliger als der profane Dämon an sich. William Friedkins größte Errungenschaft liegt hierbei in der Kombination von dem besagten emotionalen Drama und den „billigen“ Schockmomenten. So verliert er zwischen Szenen von Gewalt und Grauen zu keinem Augenblick die Balance und lässt seinen Film nie ganz dem Wahnsinn verfallen.

Fazit: Bekannt für seine Kopf-drehenden Schockmomente, präsentiert uns Friedkin mit „Der Exorzist“ jedoch ein sorgfältig durchdachtes Drama. Unbestritten einer der besten Horrorfilme aller Zeiten.

Wertung: 10/10

Regisseur: William Friedkin Drehbuchautor: William Peter Blatty Kamera:  Billy Williams Schauspieler: Linda Blair; Ellen Burstyn; Max von Sydow; Jason Miller; Lee J. Cobb Laufzeit: 122 Minuten

2 thoughts on ““Der Exorzist” – Kritik

  1. Ich hab den damals, als der als Special Edition noch einmal in die Kinos kam, gesehen und wäre beinah vor Langeweile eingeschlafen. Und seit der Zeit frage ich mich, ob ich vielleicht einfach noch nicht reif war für den Film. Ich muss mir den auf jeden Fall noch mal anschauen… ;)

    1. Tatsächlich muss ich sagen, dass mich persönlich der Exorzist auch nicht richtig ergriffen hat. Da sind Friedkins weitere Werke meiner Ansicht nach besser.

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