“Gravity” – Kritik

gravity-teaser-kinoplakatAutor: Patrick Kunze

Das Licht geht aus, der Vorhang öffnet sich und die Musik beginnt. Langsam, kaum merklich steigert sich ein leiser Ton zu einem brutalen Wummern, das dem Zuschauer beinahe im Ohr weh tut. Auf einmal nur noch Stille, Dunkelheit – „Gravity“.

Nach seiner brutalen und wachrüttelnden Dystopie „Children of Men“ mit Clive Owen in der Hauptrolle ist Regisseur Alfonso Cuarón zurück auf der großen Leinwand. Sieben Jahre benötigte der Mexikaner um seine Vision eines perfekten Weltraum-Films zu verwirklichen und umzusetzen. Denn neben Problemen beim Casting machten Cuarón vor allem die noch nicht ausgereifte Technik zu schaffen. Doch wenn man am Ende der 90-minütigen Tour-de-Force mit schweißnassen Händen im Kinosessel sitzt, dankt man dem Regisseur für die Zeit, die er sich gelassen hat. „Gravity“ ist ein Meisterwerk der Extraklasse. Der Film setzt nicht nur neue Standards in Sachen Kamera, 3D-Umsetzung, Drehbuch, Schnitt, Ton und Regie sondern vor allem die Messlatte für die noch kommenden Filme in diesem Jahr extrem weit nach oben.

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Eine Standardmission am Weltraumteleskop Hubble: Für Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) ist es der erste Ausflug in die Weiten des Alls, für Veteran Matt Kowalski (George Clooney) soll es der Letzte werden. Während die Ingenieurin mit sichtlichem Unbehagen ihre Arbeit verrichtet, hat der Ergraute vor allem das Ziel vor Augen den Rekord für den längsten Weltraumspaziergang zu brechen als sich plötzlich alles ändert: Ein defekter russischer Spionage-Satellit hat eine verheerende Kettenreaktion auf der anderen Seite der Erde ausgelöst und andere Satelliten getroffen die nun unkontrolliert und mit hoher Geschwindigkeit um die Erde rasen. Die Mission wird sofort abgebrochen, doch die Astronauten der „Explorer“ können nicht schnell genug aus der Flugbahn der Schrottteile fliehen und werden regelrecht durchsiebt. Nur Kowalski und Stone überleben die Katastrophe und befinden sich nun, ohne jeglichen Kontakt zur Erde, verlassen und ohne Raumschiff in den Weiten des Alls…

Wenn Oscarpreisträger und Technik-Virtuose James Cameron („Avatar“) sagt „Gravity“ sei der Weltraum-Film, auf den er sein Leben lang gewartet hat und ihm gar noch die Krone als bester seiner Art aufsetzt, wird man durchaus aufmerksam. So beschäftigten sich doch bereits profilierte Regisseure wie Stanley Kubrick („2001: Odyssee im Weltraum“) oder Ron Howard („Apollo 13“) eingehend mit dem Thema Weltraum. Doch wo Kubrick einen tiefgreifend philosophischen Ansatz für seinen Film wählt und Howard fast schon auf biographischen Pfaden wandelt, beschreitet  Cuarón einen gänzlich anderen Weg. Nach einer atemberaubenden 15-minütigen Sequenz, welche ohne einen wirklich sichtbaren Schnitt auskommt, dreht der Mexikaner gewaltig an der Spannungs-Schraube und drückt den Zuschauer förmlich in seinen Sessel. Denn wenn das Unglück über die Astronauten einbricht, sollen das vor allem die Kinogänger zu spüren bekommen. Angst, Einsamkeit, Trauer, Freude – das alles sind universelle Gefühle, die jeden Menschen betreffen und die zu jeder Sekunde in „Gravity“ zum tragen kommen. Wenn der zynisch veranlagte Kowalski die vor Angst und Verzweiflung umher treibende Stone das erste Mal sicher in seinen Händen hält, scheint, trotz der extrem sperrigen (aber glaubhaften) Kostüme, das Antlitz tiefster Menschlichkeit und Fürsorge hervor und berührt einen auf einer einfachen aber doch effektiven Art und Weise.

Realismus wird bei Alfonso Cuarón groß geschrieben. Mit seinem Sohn und Co-Autor Jonas Cuarón recherchierte er eingehend für seine Weltraum-Vision. So wird zum Beispiel das von der NASA erarbeitete Kesslersyndrom als Ansatz für die Katastrophe gewählt. Dieser Berechnung zufolge wird aufgrund einer Potenzierung des Weltraumschrotts der erdnahe Orbit auf Jahrzehnte hinaus für die Raumfahrt nicht nutzbar sein. Außerdem verzichtet Cuarón fast vollständig auf jegliche Geräusche – abgesehen von den Atemgeräuschen der Protagonisten. Allein dumpfe Schläge sind bei den anstrengenden Versuchen von Dr. Stone ab und an zu vernehmen. Diese drückende Stille, gepaart mit dem brillanten Soundtrack von Steven Price („The World’s End“) ergeben eine absolut perfekte Symbiose, die einen für 90 Minuten in ihren Bann zieht und nicht eine Sekunde loslässt.

Wenn man als leidgeprüfter Kinogänger das Wort 3D zu hören bekommt, schrillen in vielen Fällen natürlich erst einmal die Alarmglocken. Viel zu oft wurde die Bilderweiterung nur als Ausrede dafür verwendet tiefer in die Tasche des Besuchers greifen zu können. Doch um es auf den Punkt zu bringen: Die 3D-Umsetzung von „Gravity“ ist schlicht und ergreifend genial. Selten wurde die dritte Dimension effektiver in einen Film eingebunden. Sei es die Szene, in der die Kamera der verlorenen Dr. Stone auf die Pelle rückt und dem Zuschauer die Hilflosigkeit so noch viel eindringlicher schildert oder die Situation der ersten Welle an umherfliegenden Satellitenteilen, die auf die „Explorer“ und seine Astronauten trifft. So oder so – besseres 3D durfte man im Kino bisher noch nicht bestaunen und dabei ist es nicht nur eine zusätzliche Spielerei für den Regisseuren, sondern vor allem eine Möglichkeit für Cuarón seine erzählerische Brutalität und Schonungslosigkeit noch eindringlicher für den Zuschauer greifbar zu machen.

Nicht nur auf technischer Ebene musste Cuarón einige Stolpersteine auf dem Weg zur Vollendung seiner Vision überqueren. Auch mit dem Casting gab es einige Probleme bis schlussendlich George Clooney und Sandra Bullock als finale Besetzung feststanden. Gerade für den weiblichen Part gab es vor der Verpflichtung Bullocks mit Natalie Portman, Angelina Jolie, Marion Cotillard und Scarlett Johansson einige aussichtsreiche Kandidatinnen, die sich früher oder später aber alle von dem Projekt verabschiedeten. Für manch einen mag dieser Druck (zu) gewaltig sein, doch Bullock meistert die ihr zugetragene Aufgabe bravourös und schielt mit ihrer fein nuancierten Darstellung einer gebrochenen Frau, die wieder nach einem Sinn in ihrem Leben sucht, deutlich auf ihren zweiten Oscar. Auch George Clooney begeistert als alternder Astronaut einer eigentlich längst vergangenen Reminiszenz, doch dient er vor allem als Rettungsanker und Stichwortgeber für Bullock, die dem Zuschauer als Identifikationsfigur dient.

Fazit: Das Warten hat sich gelohnt! Sieben Jahre nach „Children of Men“ begeistert Alfonso Cuarón mit einem perfekt inszenierten Meisterstück. Hier stimmt einfach alles.

Wertung: 10/10

Regisseur: Alfonso Cuarón Drehbuchautor: Alfonso Cuarón; Jonas Cuarón Kamera:  Emmanuel Lubezki Schauspieler: Sandra Bullock; George Clooney; Ed Harris (Stimme); Phaldut Sharma (Stimme); Orto Ignatiussen (Stimme) Laufzeit: 91 Minuten

3 thoughts on ““Gravity” – Kritik

  1. Ja, “Gravity” ist schon ein großartiger Film. Ich hab ihn jetzt zweimal gesehen: Einmal im IMAX für das geniale 3D und einmal im normalen 3D, dafür aber mit DOLBY ATMOS für den großartigen Ton. Technisch ist der Film grandios, neue Standards beim Drehbuch hat Cuaron aber sicherlich nicht unbedingt gesetzt. Trotzdem fesselt einen dieser Film wirklich von Anfang bis Ende.

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