“Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt” – Kritik

IWPoster Autor: Leonhard Balk

„Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich spricht. Gib ihm eine Maske, dann wird er dir die Wahrheit sagen.“

Trägt „Sherlock“-Star Benedict Cumberbatch für seine Rolle als Julian Assange in „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt” eine Maske, erzählt er uns die Wahrheit? Bei so genannten Biopics, Filmen die auf einer wahren Lebensgeschichte basieren, müssen sich Filmemacher immer eine schwierige Frage stellen: Sollte man in der Erzählung objektiv bleiben und so die Schwächen des Protagonisten zur Schau stellen, oder legt man das Leben des Helden unter das Kosmetik-Messer und rechtfertigt dies anhand kreativer Freiheit. So ein Verfahren kann zwar übergreifen die  Handlung verbessern (jüngstes Beispiel: Steven Spielbergs „Lincoln“), doch oft bringt diese Manipulation den ganzen Film zum Fall (jüngstes Beispiel: Naomi Watts als „Diana“). Eines steht fest, egal ob integer oder korrupt, am Ende muss die Hauptfigur erinnerungswert sein. Und das ist Cumberbatchs Assange leider nicht.

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Basierend auf Daniel Domscheit-Bergs Autobiografie „Inside WikiLeaks: Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ und dem Buch „WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“ erzählt „Twilight“-Regisseur Bill Condons Film die Entstehungsgeschichte der Website WikiLeaks. Domscheit-Berg (Daniel Brühl) ist ein gelangweilter IT-Angestellter als er auf den charismatischen Internet-Aktivisten und Hacker Julian Assange (Benedict Cumberbatch) trifft. Ehe er sich versieht, ist der naive Informatiker Assanges engster Vertrauter und einziger Mitarbeiter. Zusammen wollen sie Korruption und illegales Handeln auf ihrer Website enthüllen. Doch als plötzlich Menschenleben auf dem Spiel stehen, wackelt die stabile Partnerschaft und es kommt zum großen Krach zwischen den IT-Spezialisten.

Wie sich schon aus dieser Synopsis erahnen lässt, hätte Bill Condon mit „Inside WikiLeaks“ potentiell einen Mix aus „The Social Network“ und „Zero Dark Thirty“ erschaffen können. Tatsächlich orientiert sich der Film offensichtlich in vielen stilistischen und thematischen Aspekten an Finchers und Bigelows Filmen: Die Freundschaft zwischen Berg und Assange erinnert an die zwischen Facebook-Gründer Zuckerberg und Saverin, während die Präsenz des US-Geheimdienstes und Szenen im mittleren Osten stark an die spannenden Missionen des Bin-Laden-Thrillers angelehnt sind.

Insgesamt schafft es Condon aber nur an der aller, aller äußersten Oberfläche dieser zwei Vorlagen zu kratzen. Schon an der Eröffnungssequenz ist zu erkennen, dass sich Condon bei seiner Inszenierung ordentlich verschätzt hat. Unzufrieden mit der komplexen Geschichte, die sowohl in emotionalen als auch politischen Punkten einiges zu bieten hat, widmet sich Condon eher überzogenen Reise-Montagen und Zeitsprüngen. So wird die Handlung immer mehr dazu gezwungen zu einem 007-Spionagethriller zu werden, was aber weder in den Buchvorlagen noch in dem Drehbuch widergespiegelt wird. Das innere Konstrukt der WikiLeaks-Seite ist beispielsweise als CGI-Landschaft mit vielen Computern und Ordner in einer physischen Form greifbar gemacht. Statt Entwicklungen in der Beziehung zwischen Assange und Berg in Dialog-Form zu erklären, wird dies in der Form eines MTV-Musikvideos, mit explodierenden Computer-Bildschirmen und brennenden Dokumenten, dargestellt.

Gerechterweise sollte man hier auch Drehbuchautor Josh Singer („Fringe – Grenzfälle des FBI“) mit zum Sündenbock machen. Frühe Szenen zwischen Cumberbatch („Star Trek Into Darkness“) und Brühl („Rush – Alles für den Sieg“), zwei wirklich großartige Schauspieler, hangeln sich von einer klischeeüberladenen Rede zur nächsten und beschäftigen sich nie mit ernsthafter Figurengestaltung. Es wird viel von Revolution und Wechsel geredet, doch nie wird erklärt warum es Berg und Assange zu solch extremen Aktivismus zieht. Als sich dann die Wege der zwei Freunde unvermeidlich trennen, trifft einen der Streit und die Wut auf wirklich keiner Ebene. Viel effektiver ist dabei Bergs Beziehung zu seiner Freundin Anke (Alicia Vikander), dabei ist diese nur in ungefähr zehn Minuten des Films zu sehen.

Im Vergleich zu „Zero Dark Thirty“ leidet „Inside WikiLeaks“ noch mehr, denn die objektive Sichtweise Bigalows fehlt hier komplett. Zwar werden pünktlich zu dem Cablegate-Skandal um Bradley Manning einige US-Regierungsangestellten vorgestellt (gespielt von Laura Linney und Stanley Tucci), doch ist deren dramaturgische Funktion weitestgehend nutzlos. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel, die Sicherheit der gesamten Nation wird in Frage gestellt und Linneys Charakter verliert sogar ihren Job, indes wird aber immer noch unbekümmert rumgespaßt und philosophisch in Erinnerungen geschwelgt. Ganz so als ob der ganze Skandal nur aus einer „The West Wing“-Folge stammt.

Der Film endet mit einer fiktiven Interview-Szene in der ecuadorianischen Botschaft in London, wo Julian Assange derzeit im politischen Asyl lebt. Der Film gibt seiner Hauptfigur hier noch die Chance sein Handeln zu rechtfertigen und ein paar inspirierende Worte zu sagen. Und da wird dann auch noch dem letzten Zuschauer klar, dass Condon und Cumberbatch weniger an der Genauigkeit ihrer geschichtlichen Vorlage interessiert waren, sondern vielmehr daran Assange als Superstar und überlebensgroße Figur darzustellen.

Fazit: Überlang, unkonzentriert und verwirrend hektisch. „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“ hätte in Dokumentarfilm-Form bestimmt zu mehr Erfolg gefunden.

Wertung: 3/10

Regisseur: Bill Condon Drehbuch: Josh Singer Schauspieler: Benedict Cumberbatch; Daniel Brühl; Anthony Mackie; Laura Linney; Rebecca Hall; David Thewlis Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: USA Länge: 129 Minuten

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