“Drecksau” – Kritik

Drecksau_Hauptplakat Autor: Leonhard Balk

„Drecksau“. Wie der Titel einem eigentlich schon sagt handelt es sich in „Trainspotting”-Autor Irvine Welshs Buchvorlage um ein besonders asoziales Individuum. Welshs Protagonist ist ein Junkie, ein Rassist, ein Egoist, ein ganz und gar unsympathischer Typ. Solch eine Charakterisierung mag man sich in literarischen Ausmaßen vielleicht noch zumuten, doch in Filmform sind solche Figuren selten ertragbar. Ausnahmen gibt es natürlich immer: Christian Bales Psycho-Killer-Businessman Patrick Bateman in „American Psycho” (in Bret Easton Ellis’ Buchvorlage ist er noch verstörender), Robert De Niros Möchtegern Fernsehstar Rupert Pupkin in „The King of Comedy“ oder Malcolm McDowells Frauenschänder Alex in „Uhrwerk Orange“. Was macht diese Egoisten zu gelungenen Protagonisten? Ganz einfach, im Laufe der Handlung empfindet man ganz unerwartet Mitleid für sie. – Achtung Spoiler! Patrick verzweifelt am Ende an seiner Mordsucht, er versucht seine Verbrechen zu gestehen und kann seinem Wahnsinn dennoch nicht entfliehen. Rupert will einfach nur ins Fernsehen und entführt deswegen sein großes Vorbild. Alex will seine schlimme Vergangenheit vergessen, doch landet er in den Händen eines seiner ehemaliges Opfer. Spoiler Ende! – Alle sind Produkte ihrer schlimmen Umgebung, sie können im Grunde genommen nichts dafür. Und auch der Polizist Bruce Robertson, die „Drecksau“, leidet still vor sich hin und kann nichts gegen seine emotionalen und sozialen Probleme unternehmen.

Drecksau1

Bruce (James McAvoy) geniest das Junggesellenleben nach seiner Scheidung voll und ganz: Stripclubs, Nutten, Drogen und allerlei andere Exzesse. Dabei will er doch eigentlich zum Chief Inspector der Polizei Edinburghs befördert werden. Um sich den Posten zu sichern nimmt der korrupte Cop seine Mitarbeiter (Jamie Bell, Imogen Poots u.A.) reihenweise mit hinterlistigen Tricks aus dem Rennen. Doch als sich die Weihnachtszeit anbahnt und Bruce nach einem Wochenende in Hamburg immer öfter Halluzinationen verfällt, laufen seine eigennützigen Pläne aus dem Ruder…

Regisseur Jon S. Baird („Cass – Legend Of A Hooligan”) beginnt seinen Film mit der brutalen Ermordung eines japanischen Studenten. Direkt im Anschluss auf diese Szene werden Schottlands beste Kriminalbeamten über den Fall informiert, sie sollen die Verbrecher finden. Aber das Ganze wird von einem Furzwitz unterbrochen. Wie in einer Art perverser Rube-Goldberg-Maschine wird die restliche Handlung des Films mit diesem Furz in Bewegung gesetzt. Bruce macht sich zwar auf die Suche nach den Mördern, doch interessieren ihn dabei weibliche (minderjährige) Komplizen und illegale Drogengeschäfte mehr als das tatsächliche Verbrechen. Baird handhabt diese Ausflüge in die moralischen Tiefen seines Protagonisten in einer routinierten Manier, ein Mix zwischen dem komödiantischen Talent Terry Gilliams („Fear and Loathing in Las Vegas“) und der bitteren Ernsthaftigkeit eines Darren Aronofskys („Requiem for a Dream“).

Und es wird tatsächlich sehr ernst, denn Bruce gesteht sich nach und nach immer mehr ein, dass er  doch sehr von seiner Scheidung betroffen ist und Hilfe braucht. James McAvoy („Trance – Gefährliche Erinnerung“) wechselt hierbei effektiv zwischen profanen Schimpftiraden und nüchternen Gefühlsbekenntnissen hin und her, verliert dabei jedoch zu keinem Zeitpunk die Übersicht bei der Gestaltung seines höchst originellen Charakters. Auch Eddie Marsan („The World’s End“) liefert eine grandiose schauspielerische Performance als Bruces bester Freund/ liebstes Opfer ab. Über allem steht jedoch Bruce, die Hauptfigur, ohne deren skurrile Eigenschaften der Film wohl kaum funktionieren würde. Sein emotionales Dilemma leitet die Handlung mehr als die Mordinvestigation, seine Halluzinationen interessanter als die kalte Realität. Und irgendwie macht diese Misere doch richtig Spass, denn schließlich ist der Leidende ein waschechtes Arschloch.

Fazit: Eine geniale Charakterstudie, bei der an Absurdität und Ekelheftigkeit nichts zurückgehalten wird. Dieser Drecksau will man nun wirklich nicht über den Weg laufen.

Wertung: 7,5/10

Regisseur: Jon S. Baird Drehbuch: Jon S. Baird Schauspieler: James McAvoy; Jamie Bell; Imogen Poots; Jim Broadbent; Eddie Marsan Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: Großbritannien Länge: 97 Minuten

 

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