“Philomena” – Kritik

PosterAutor: Leonhard Balk

Genauso wie Peter Mullans „Die unbarmherzigen Schwestern“, befasst sich „Philomena“ mit einem Thema über welches man sich gut und gerne aufregen kann: die Magdalenenheime der katholischen Kirche Irlands. In diesen Einrichtungen wurden bis 1996 junge Frauen gegen ihren Willen gehalten und zur Arbeit in Wäschereien gezwungen, weil sie von ihren Familien verstoßen wurden. Dabei handelte es sich meistens um sogenannte „gefallene Frauen“, die vor der Eheschließung ihre Jungfräulichkeit verloren hatten. Oberflächlich gesehen könnte man mit einem Film über dieses kontroverse Thema wohl recht einfach Leute bewegen. Schließlich muss man ja nur die schlimme Situation dieser Frauen widerspiegeln, ohne eine weitere Erzählung einzubauen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Drehbuchautoren Steve Coogan und Jeff Pope, mit der Hilfe der Buchvorlage von Martin Sixsmith, eine gut balancierte Geschichte geschaffen haben. In „Philomena“ gibt es zwar vieles über das man sich aufregen kann, doch dies überschattet zu keinem Zeitpunkt die tatsächliche Handlung um Philomena Lee und Martin Sixsmith, deren Reise noch viel mehr zu bieten hat.

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Der ehemalige BBC-Journalist Martin Sixsmith (Steve Coogan, „Das Glück der großen Dinge“) hat in Folge eines politischen Debakels seinen Job als Berater im britischen Parlament verloren und versucht verzweifelt seinen Namen zu retten. Eigentlich plant er ein Buch über Russland schreiben, doch dann trifft er die pensionierte Krankenschwester Philomena Lee (Judi Dench, „Skyfall“). Philomena birgt seit 50 Jahren das Geheimnis, dass ihr Kind von den Schwestern eines Magdalenenheims verkauft wurde. Nun will sie ihren Sohn wiedersehen und ihre Geschichte erzählen. Martin begleitet sie nach Amerika, wo er den verloren Sohn zu finden hofft.

Im Gegensatz zu der Buchvorlage, erzählt „Philomena“ nicht nur die Geschichte einer alten Frau auf der Suche nach ihrem verlorenen Sohn, sondern auch die des kynischen Buchautors. Die ersten Szenen des Films stellen geschickt das schlimme Schicksal der jungen Philomena (Sophie Kennedy Clark) den vergleichsweise banalen Sorgen des frisch gefeuerten Martin Sixsmith gegenüber. Als dann Martin und Philomena endlich aufeinanderstoßen ist die Figurenentwicklung schon in vollem Gange. Er ist ein kaltherziger Realist ohne Verständnis für religiösen Glauben seiner Reisegefährtin. Sie wiederum ist naiv, freundlich und will auf keinen Fall Streit anfangen. Die zwei könnten nicht unterschiedlicher sein. So nimmt die Reise nach Amerika zugleich komödiantische und bewegende Züge an.

Diese Prämisse, welche in anderen Händen leicht zu einem Feel-Good-Roadmovie werden hätte können, eignet sich von Natur aus für einen Leinwand. Statt die Reise in dieser Art und Weise eskalieren zu lassen, bewahrt Regisseur Stephen Frears („Die Queen“) die Kontrolle und den Bezug zur Wirklichkeit. Martin und Philomena wollen nicht das Gleiche, sie nutzen sich gegenseitig für ihre eigen Zwecke aus. Martin interessiert sich vor allem für seine Story, denn ihm sitzt die Chefredakteurin eines Boulevardmagazins (Michelle Fairley, „Game of Thrones“) im Nacken. Und Philomena ist sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt ihre Geschichte veröffentlichen möchte.

Hingegen typischer Hollywood Konventionen gibt es für die Charakter nichts lebensbejahendes zu lernen. Martin wird nicht von Philomenas Glauben überzeugt und Philomena wendet sich auch nicht gegen ihre Kirche. Hier ist kein aufgestempeltes Statement zu finden, obwohl der Film natürlich zum Nachdenken anregt. Die beiden werden auch nicht beste Freunde, sondern gehen einfach ihre getrennten Wege. So bleibt einem kein saurer Nachgeschmack im Mund, man fühlt sich nicht manipuliert, sondern man ist einfach nur froh dieser einzigartigen Story beigewohnt zu haben. Letztendlich entsteht so ein effektives Drama, bei dem es kein politisches Ziel gibt, sondern es um den emotionalen Zustand der Protagonisten geht.

Fazit: Ein ausgewogenes Comedy-Drama mit hervorragenden schauspielerischen Leistungen und einer einmaligen Story.

Wertung: 8,5/10

Regisseur: Stephen Frears Drehbuch: Steve Coogan; Jeff Pope Schauspieler: Judi Dench; Steve Coogan; Sophia Kennedy Clark; Mare Winningham; Barbara Jefford Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: USA Länge: 98 Minuten

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