Pierce Brosnan und Liam Neeson duellieren sich 1868, kurz nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg, mit allem was Holster und Ideenreichtum hergeben.
Dies geschieht in David von Anckens (Episoden-Regisseur für u.a. „Californication“ und „House of Lies“) Western vor einer derart beeindruckenden Kulisse und abseits texanischer Stereotypen, dass man sich auch unter widrigsten Umständen der Sogwirkung kaum entziehen kann. Selbst bei einer Open-Air Vorstellung an mediterranen Gestaden findet sich der Zuschauer katapultartig in die verschneite Bergwelt Nordamerikas versetzt. Bei gefühlten – 15 °C sind Hände klamm, Zehen tiefgefroren und herab geschüttelter Schnee ein beißender Schrecken im Nacken.
Die ersten Szenen, in denen sich Pierce Brosnan („Der Ghostwriter“) alias Gideon an einem Feuer wärmt welches sich trotzig gegen die Kälte behauptet, beschleunigen einen bereits umgehend in mitreißende Tempogefilde. Ein Schuss fällt, Brosnan hebt getroffen das Haupt und flieht schließlich als panisch gehetztes Tier einen steilen Abhang hinunter. Dabei halten ihn weder der Tiefschnee noch ein eisig kalter Gebirgsbach auf. Das Publikum ist hautnah dabei, spürt die Panik, das Herzrasen und die bedrohliche Nähe des Verfolgers. Der heißt Colonel Carver, verkörpert durch einen unerbittlichen Liam Neeson („Schindlers Liste“), der bittererweise zudem noch fiese Verstärkung mitgebracht hat.
Für ausschweifende Gedanken über eine klassische Rollenverteilung von Gut und Böse bleibt dem Zuseher indes überhaupt keine Zeit. Man flieht an der Seite von Gideon und verfolgt im Gefolge von Carver. Als Erstgenannter beginnt die Söldnertruppe des Zweiten ideenreich zu dezimieren, wird klar, hier geht es nicht nur um eine Saloonprügelei. Denn auch als Blut beginnt den Schnee rot zu färben, lässt Carver nicht nach. Verbeißt sich vielmehr noch tiefer in sein Ziel den Kontrahenten zur Strecke zu bringen.
Fortan verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, Held und Bösewicht. Wechseln, mitbeeinflusst durch Rückblenden verschiedener Blickwinkel, gar von einer zur anderen Seite. Auch durch diesen Kunstgriff gelingt von Ancken etwas, dass die guten bis großartigen von den mittelmäßigen bis schlechten Western unterscheidet: Man vergisst zeitweise welche Art von Film man gerade sieht. Und doch ist es natürlich dieses Genre, welches selbst nach so vielen Dekaden und ungezählten filmischen Vertretern noch immer zu fesseln weiß. Der Plot für sich genommen hätte wohl auch einen guten Thriller heutiger Zeit hergegeben, doch erst die Epochen bedingte Konfrontation mit den Kräften der Natur, macht aus der Handlung ein leidenschaftliches Filmerlebnis.
Tatsächlich sind bei „Seraphim Falls“ echte Schwächen kaum auszumachen. Immer wieder verlockender Pathos hält sich sehr in Grenzen, die Hauptdarsteller spielen hervorragend (vor allem Pierce Brosnan bei der Selbst-OP) und sind zudem umgeben von fähigen Nebendarstellern. Hervorzuheben ist auch die ausgewogen abgestimmte Klangkulisse. Im Zusammenspiel mit den großartigen Landschaftsaufnahmen entfaltet sich ein stimmiges Bild winterlicher Schönheit, das einem trotzdem das Fürchten lehrt und manchem Akteur den Hintern aufreißt. Ein weiteres und finales Highlight ist der Gastauftritt von Anjelica Huston („The Royal Tenenbaums“), die in der deutungsvollen, gar surrealen, Schlussszene zu brillieren weiß.
Fazit: „Seraphim Falls“ braucht sich vor keinem etablierten Klassiker des Genres zu verstecken. Im US-Basketball heißt sowas schlicht ‘Underrated Player‘ und genau ein solcher ist von Anckens Streifen. Ein Film der sehr vieles kann, kaum etwas falsch macht und in jede ernsthafte Westernsammlung gehört.
Wertung: 8,5/10
Regisseur: David von Ancken Drehbuch: David von Ancken & Abby Everett Jaques Produzent: Bruce Davey & David Flynn Schauspieler: Pierce Brosnan; Liam Neeson; Michael Wincott; Anjelica Huston; Angie Harmon Länge: 108 Minuten