In vermutlich keiner anderen Zeit im Leben eines Menschen, ist die Gefühlswelt so durcheinander wie während der Pubertät. Wenn Kinder zu Jugendlichen und langsam aber sicher zu Erwachsenen werden, treten oft die verschiedensten Probleme auf, die nicht selten nur schlecht von den Eltern erkannt und vor allem selten wirklich akzeptiert werden. Auch in Deutschland suchen immer mehr heranwachsende Jugendliche den Weg in eine soziale Einrichtung. Die Gründe können vielfältig sein: Von Essstörungen bis zur elterlichen Gewalt oder gar der Gewalt der sich die Kinder selbst aussetzen, ist in der Regel alles dabei. Mit seiner zweiten Regiearbeit „Short Term 12“ beschäftigt sich Regisseur Destin Daniel Cretton mit einer sozialen Einrichtung für Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren in den USA. Doch anstatt ein seichtes Teenager-Drama abzuliefern, erschuf Cretton, der auch das Drehbuch schrieb, ein Film voll ehrlicher, ernst gemeinter Emotionen ohne dabei auch je aufgesetzt zu wirken. Selten wurde das Leben problemgeplagter Teenager besser auf die Leinwand gebracht – ein wahres Meisterwerk.
Für Grace (Brie Larson) ist ihre Arbeit bei der sozialen Einrichtung „Short Term 12“ die pure Erfüllung. Sie liebt es Kindern und Jugendlichen zu helfen und sie für ein erwachsenes Leben vorzubereiten. Zusammen mit Mason (John Gallagher Jr.), mit dem sie auch eine langjährige Beziehung pflegt, bringt sie die oft aggressionsgeplagten Teenager wieder auf Kurs. Doch in ihrem Privatleben geht es nicht so geordnet zu. Zwar ist ihre Beziehung liebevoll, doch oft verschließt sich die Mittzwanzigerin vor Mason und lässt keinerlei Nähe zu. Als dann auch noch die wütende Jugendliche Jayden (Kaitlyn Dever) bei „Short Term 12“ ankommt, zieht die Pflegerin deutliche Parallelen zwischen ihrem und dem Leben der jungen Heranwachsenden und verdrängte Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit holen Grace ein…
Bei sehr schwierigen Themen so wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch ihre eigenen Eltern oder Gewalt im Elternhaus bekommen viele Filme im richtigen Moment nicht die Kurve. Sie schießen über das Ziel hinaus und schlagen den Zuschauer derart nieder, dass er aufgrund der großen Tragödie gar nicht wirklich weiter schauen will. Das soll nicht heißen dass die gezeigten Tragödien in „Short Term 12“ nicht absolut furchtbar wären. Nein, Regisseur und Drehbuchautor Destin Daniel Cretton schafft es vielmehr den Zuschauer glaubhaft durch die emotionalen Welten mehrerer Menschen zu führen, die oft den Glauben an eine faire und gerechte Welt verloren haben. Dabei driftet Cretton nie in Kitsch oder Klischee ab, sondern wendet sich vorsichtig und mit viel Gefühl seinen Charakteren zu, denen man zu jedem Zeitpunkt ihre Rolle voll abnimmt.
Dabei funktioniert das Zusammenspiel zwischen den Schauspielern perfekt. Brie Larson konnte bereits mit Filmen wie „The Spectacular Now“ oder „21 Jump Street“ zeigen dass sie Talent hat, doch in „Short Term 12“ beweist sie, dass sie eines Tages zu den ganz Großen gehören wird. Ihre Grace ist eine innerlich zerrissene junge Frau, die nur schwer mit ihrer Vergangenheit klar kommt aber ebenso für die Kinder die sich in ihrer Obhut befinden da sein will. Eine schwierige Aufgabe, die Larson perfekt meistert – man darf gespannt sein was wir in den nächsten Jahren so alles von ihr zu sehen bekommen. Auch wenn der Charakter der Grace der zentrale Mittelpunkt des Films bildet, sind die anderen Figuren nicht weniger wichtig. Vor allem die junge Kaitlyn Dever („J. Edgar“) als aggressive Heranwachsende, ragt neben Brie Larson aus dem Cast heraus. Ihre Jayden ist Anfangs nur schwer zu entschlüsseln, mit Voranschreiten des Films gibt sie immer mehr von sich preis und versucht trotz ihrer großen Angst und ihrer Unsicherheit eine Verbindung zu der ambitionierten Pflegerin herzustellen. Diese starke Zugehörigkeit zueinander kulminiert in einer wundervoll herzzerreißenden Szene in welcher Jayden Grace eine selbstgeschriebene Geschichte über ein Tintenfischmädchen und einen bösartigen Hai vorliest.
Doch neben der Geschichte mit dem jungen Mädchen, fallen andere Charaktere nicht ab. Drehbuchator Cretton kümmert sich gleichwohl auch um alle anderen. So wird die Liebe zwischen Grace und Mason nicht einfach unter den Teppich gekehrt, sondern spielt einen eminent wichtigen Part in der Entwicklung beider Menschen. Auch die anderen Kinder bekommen ihren Raum. Lakeith Lee Stanfield („The Purge“) als schweigsamer Jugendlicher der kurz vor der Entlassung aus „Short Term 12“ steht und nicht weiß wie er in der Welt außerhalb seiner so bekannten vier Wände klar kommen soll oder Alex Calloway als introvertierter Kuscheltier-Liebhaber, der gerne mal flüchtet. Die Kunst im Drehbuch von „Short Term 12“ ist, dass alle diese Geschichten, egal ob klein oder groß ihren Raum zur Entfaltung und Entwicklung bekommen und tatsächlich keine irgendwie überflüssig oder fehl am Platz wirkt – eine Oscarnominierung für das beste Originaldrehbuch wäre mehr als gerechtfertigt gewesen.
Fazit: Schon lange ging ein Film über problemgeplagte Teenager nicht mehr derart ans Herz. „Short Term 12“ ist eine Sinfonie voll stillem Schmerz, großen Gefühlen und vielen tollen Menschen – unbedingt anschauen.
Wertung: 9,5/10 Punkte
Regisseur: Destin Cretton Drehbuch: Destin Cretton Schauspieler: Brie Larson; John Gallagher Jr.; Kaitlyn Dever; Keith Stanfield; Rami Malek Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: USA Länge: ca. 96 Minuten