Autor: Patrick Kunze

Regisseur Martin Scorsese ist einer der ganz großen Namen in Hollywood. Seit mehr als 45 Jahren macht der mittlerweile 71-jährige Amerikaner nun Filme. Mit Meisterwerken wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“ oder „Die Farbe des Geldes“ zementierte er seinen unumstößlichen Ruf als vielseitiger Filmemacher, der sich nicht nur speziell auf ein Genre festlegt sondern in vielen verschiedenen Stilrichtungen sein Zelt aufgeschlagen hat. Nach Werken wie zuletzt „Hugo Cabret“ (über die Entstehung des Mediums Film), „Departed – Unter Feinden“ (klassischer Gangsterfilm) oder „Aviator“ (Biografie über den Flugzeug-Pionier und Exzentriker Howard Hughes“) geht er mit „The Wolf of Wall Street“ erneut einen anderen Weg. Was sich auf dem Papier wie ein biografischer Börsenfilm anhört, ist am Ende aber ein satirischer Faustschlag in das Gesicht des Zuschauers. Scorsese schert sich nicht groß um Konventionen und macht hier einen Film so frisch und neu wie schon lange nicht mehr und verwundert mit seiner Radikalität einmal mehr – „The Wolf of Wall Street“ ist definitiv nichts für Kinder. Hier werden pausenlos Leute um ihr hart erspartes Vermögen gebracht, Drogen am laufenden Band konsumiert und sexuelle Eskapaden gefeiert, die geradewegs aus einem Porno stammen könnten.

Der junge und ambitionierte Jordan Belford (Leonardo DiCaprio) möchte an der New Yorker Wall Street so richtig durchstarten. Unter der Obhut des erfolgreichen und skrupellosen Brokers Mark Hanna (Matthew McConaughey) lernt er alles was er wissen muss. Doch nach dem großen Börsencrash von 1987 geht nichts mehr. Belford beschließt ganz von unten anzufangen und schließt sich einer Gruppe von Brokern an welche größtenteils Ramsch-Aktien an die amerikanische Mittelschicht verscherbelt. Schnell macht er sich aufgrund seines Verkaufstalents einen Namen und gründet zusammen mit dem Möbelverkäufer Donnie Azoff (Jonah Hill) und einigen weiteren Freunden die Investment-Firma Stratton Oakmont. Mit gezielten Täuschungen verkaufen sie Aktien wie am Fließband. Alkohol, Drogen, Sex und Parties stehen auf der Tagesordnung. Doch da sie immer öfter die legalen Wege verlassen wird bald FBI-Agent Patrick Denham (Kyle Chandler) auf sie aufmerksam.

Lange war kein Film von Martin Scorsese mehr so umstritten wie „The Wolf of Wall Street“. Bereits während der Entstehungsphase drangen erste Skandale über die Darstellung von Sex und Drogenkonsum an die Öffentlichkeit. Die MPAA (das amerikanische Pendant zur deutschen FSK) verweigerte dem Film in seiner langen Fassung (ganze vier Stunden) ein R-Rating, was der finanzielle Todesstoß bedeutet hätte, denn mit einem NC-17 Rating hätte der Filmverleih kaum Werbung für den Film machen dürfen. Große Kinoketten hätten ihn nicht in ihr Programm aufgenommen und die Oscars wären garantiert kein Thema gewesen. Zusammen mit seiner Stamm-Cutterin Thelma Shoonmaker setzte sich Scorsese noch einmal in den Schneideraum und reichte eine neue Fassung (jetzt drei Stunden) ein. Es ist schwer zu glauben wie der Film vorher ausgesehen hat, denn bereits in der ersten Szene redet Hauptcharakter Jordan Belfort, der gerne auch mal die vierte Wand durchbricht und mit dem Zuschauer direkt spricht, von seinem exzessiven Drogenkonsum, seiner Spiel- und Sexsucht und seinem Drang Menschen ihr hart verdientes Geld abzuluchsen. Diese Attitüde durchzieht fast den kompletten Film und so ist es nicht verwunderlich das auf einer Pressekonferenz für Mitglieder der Academy mehrere Menschen den Saal fluchtartig verließen und zwei über alle Maßen hinaus aufgebrachte Mitglieder Scorsese gar anschrien was er sich bei dem Film gedacht habe.

Dabei ist „The Wolf of Wall Street“ viel mehr als nur die reine plakative Darstellung dekadenter Verhaltensweise an der Börse. Es geht um den „American (Fake) Dream“ in all seinen Facetten. Scorsese entlarvt den Traum von Reichtum und Geld mit der Oberflächlichkeit die mit so gut wie allen Mitgliedern von Belfords Gruppe einhergeht. Hier geht es nicht um Freundschaft oder Zusammenhalt. Der „Trading-Floor“ ist die Wildnis schlechthin. Hier geht es darum wer der Stärkste ist, wer schwach ist wird aussortiert. Und Jordan Belford ist der Allergrößte, der Allerstärkste, er ist der Wolf in der Meute. Seine Reden bringen die Massen zum ausrasten und zum kochen (der wahre Jordan Belford ist mittlerweile tatsächlich ein überaus erfolgreicher Motivationsredner).

Mit der Verpflichtung seines (neuen) Lieblingsschauspielers Leonardo DiCaprio ist Martin Scorsese erneut ein absoluter Clou gelungen. DiCaprio brilliert in der Rolle des ekelhaften Börsianers und spielt in seiner mittlerweile fünften Zusammenarbeit mit Scorsese einmal mehr vollkommen entfesselt auf. An seiner Figur ist der Verfall durch den exzessiven Konsum von Drogen ständig spürbar und spätestens wenn sich DiCaprio mit Jonah Hill unter Drogen einen unfassbar witzigen Kampf abliefert ist jedem klar wo der Hase lang läuft. Allgemein ist „The Wolf of Wall Street“ wohl Scorseses lustigster Film. Alle Nebenfiguren unterstreichen die Absicht den Zuschauer über das Gesehene zum lachen zu bringen. Jonah Hill konnte, ebenso wie DiCaprio, für seine Darstellung eine Oscarnominierung abstauben. Sein Donnie Azoff ist ein gelacktes Arschloch mit überweißen Zähnen und hässlichen Klamotten. Und auch wenn an der ein oder anderen Stelle das Overacting von Hill beinahe aus dem Ruder zu laufen scheint, so bekommt er doch immer im richtigen Moment die Kurve und bereitet DiCaprio mehr als eine grandiose Vorlage – einfach genial. Allgemein sind alle Nebenrollen großartig besetzt. Newcomerin Margot Robbie („Alles eine Frage der Zeit“) als Sexbombe vor dem Herrn, Jean Dujardin („The Artist“) als korrupter Schweizer Bankier oder Regisseur Rob Reiner („Harry und Sally“) als cholerischer Vater von Jordan. Vor allem Reiner sorgt mit seinen überkrassen Ausraster für die größten Lacher.

Fazit: Was sich wie ein langweiliger Börsenfilm anhört entpuppt sich zu einem ausgewachsenen Drogentrip für den Zuschauer. Regisseur Martin Scorsese unterwandert jegliche Genrekonventionen und liefert ein von allem inhaltlichen Ballast befreites, sperriges Meisterwerk ab.

Wertung: 9,5/10

Regisseur: Martin Scorsese Drehbuch: Terence Winter Schauspieler: Leonardo DiCaprio; Jonah Hill; Margot Robbie; Rob Reiner; Matthew McConaughey Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: USA Länge: 180 Minuten