“Her” – Kritik

Her1Autor: Leonhard Balk

Junge liebt Mädchen, Mädchen liebt Junge, Junge verliert Mädchen, Junge trifft Computer

Spike Jonzes Tragikomödie „Her“ ähnelt in vielen Genre-Aspekten Alfonso Cuaróns Weltall-Thriller „Gravity“. Beide Filme werden häufig zusammen in die Sci-Fi-Kategorie gesteckt, obwohl es dort eindeutig mehr Sci (Science) als Fi (Fiction) zu sehen gibt. In anderen Worten, hier sind keine Roboter, fliegenden Autos oder andere ausgefallenen Zukunftsvisionen vorzufinden. „Her“ und „Gravity“ beschäftigen sich mit nachvollziehbarer (und teilweise schon existierender) Technologie und deren Gefahren und Wunder. Jonze und Cuarón, welche beide auch das Drehbuch zu ihren Filmen schrieben, siedelten ihre Geschichten in der nicht allzu fernen Zukunft an. In beiden Fällen kann es sich tatsächlich um nicht mehr als ein paar Jahrzehnte handeln. Beide Filme sind gerade wegen ihrer Nachvollziehbarkeit, ihrer Gegenwärtigkeit in ihrer Dramaturgie so effektiv. Auch wir könnten bald im All verschwinden, oder uns in einen Computer verlieben.

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Theodore Twombly (Joaquin Phoenix, „The Master“) ist ein begabter Brief-Autor. Seine Briefe verfasst er jedoch nicht in seiner Freizeit, sondern für die Kunden der Firma „Beautiful Handwritten Letters“. Er selbst hat wenig Kontakt zu anderen Menschen, nur durch seinen Computer chattet er spätnachts mit Fremden. Schuld daran ist, laut Theodore, seine Ex-Frau (Rooney Mara, „Verblendung“), die ihn vor fast einem Jahr verlassen hat. Doch Theodores Leben ändert sich schlagartig mit dem Kauf eines neuen Betriebssystems mit artifizieller Intelligenz. Ihr Name? Samantha.

Es ist verwunderlich wie einfach wir heutzutage diese Prämisse akzeptieren und verstehen. Vor 10 Jahren hätte diese Idee, ein Mann und seine Computer-Frau, Verwunderung und Spott entfacht. Das Ganze wäre als eine oberflächliche Slapstick-Komödie à la „L.I.S.A. – Der helle Wahnsinn“ abgeschrieben geworden. Doch nun, inmitten unserer iPods und Chatrooms, erscheint uns diese digitale Liebe als relativ nachvollziehbar. Spike Jonze („Being John Malkovich“ & „Wo die wilden Kerle wohnen“) nutzt dieses vertraute Gefühl um eine wunderbar feinfühlige Liebesgeschichte zu erzählen. Dabei hilft ihm vor allem das Design der Technologie des Films. Theodore kommuniziert ausschließlich mit einem Knopf in seinem Ohr. Sein Leben organisiert er auf einem Computerbildschirm und einem tragbaren Smartphone. Diese Objekte sind uns schon so vertraut, dass wir fast gar nicht merken, wo neue Erfindungen anfangen und mit unseren Geräten verschmelzen.

Samantha (in der englischen Version gesprochen von Scarlett Johansson) lädt als kleines Icon auf Theodores Bildschirm und plötzlich ist sie da. Schon die ersten Zeilen des Dialogs zwischen ihr und Theodore vermitteln den Eindruck, dass man hier einer ganz normalen Konversation beiwohnt. Sie organisiert zwar seine Festplatte und liest ihm seine Emails vor, doch Samanthas Verhältnis zu ihrem „Besitzer“ ist entspannt, sie ist ihm sogar in vielen Dingen eindeutig überlegen. Ihre Beziehung zu Theodore entwickelt und entfaltet sich so wie jede andere Beziehung. Sie flirtet mit ihm, lacht über seine Witze und verliebt sich letztendlich in ihren schüchternen PC-User.

Dass Spike Jonze diese Liebesgeschichte gelungen ist, muss man vor allem der Leistung von Joaquin Phoenix zuschreiben. Beginnend mit der ersten Aufnahme des Films fesselt uns sein Gesicht. Zuerst ist es die erdrückende Einsamkeit und dann die neuentdeckte Hoffnung, die durch seine Gesichtszüge und Körperhaltung ohne viele Worte gezeigt wird. In Szenen wo Theodore und Samantha zusammen sind vergisst man schon fast, dass hier nur eine Person einen Körper hat, so  leidenschaftlich wirft sich Phoenix in diese eigenartige Rolle – eine Oscarnominierung wäre definitiv verdient gewesen. Auch Amy Adams, Olivia Wilde, Rooney Mara und Chris Pratt glänzen in ihren wichtigen Nebenrollen.

Insgesamt schafft es Jonze so erfolgreich wie sonst nur bei wenigen Sci-Fi-Filme eine komplette Welt zu erschaffen. Dafür benutzt er jedoch statt CGI die Beziehungen zwischen Menschen (und Computern). Seine Zukunftsgesellschaft ist asozial und einsam, jeder flieht gerne in seine private digitale Welt. Und trotzdem will Jonze seinem Publikum zu keinem Zeitpunkt eine Moralgeschichte aufdrängen. Er hat Verständnis für seine Figuren und schenkt der Liebe zwischen Mann und Computer die nötige Aufmerksamkeit, ohne das Prinzip zu verurteilen. So wollen wir am Ende wirklich, dass die Beziehung zwischen Theodore und Samantha funktioniert, obwohl es so scheint als wäre sie von Anfang an zum scheitern verurteilt.

Fazit: Spike Jonze führt uns Schritt für Schritt durch die traurigen und schönen Details einer neuartigen Liebesgeschichte. Was zunächst als Komödie beginnt, überrascht durch eine entwaffnende Authentizität und Nachvollziehbarkeit. Ein Film für unsere Zeit, der nur zufällig in der Zukunft spielt.

Wertung: 9/10

Regisseur: Spike Jonze Drehbuch: Spike Jonze Schauspieler: Joaquin Phoenix; Amy Adams; Scarlett Johansson; Chris Pratt; Rooney Mara Erscheinungsjahr: 2013 Produktionsland: USA Länge: 126 Minuten

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