“Captain Phillips” – Kritik

captain-phillips Autor: Patrick Kunze

Paul Greengrass ist zurück! Drei Jahre nach „Green Zone“ (mit Matt Damon), der sowohl von den Kritikern als auch von den Zuschauern verschmäht wurde, kehrt der Brite mit „Captain Phillips“ zurück nach Hollywood. Mit dem zweifachen Oscar-Preisträger Tom Hanks („Forrest Gump“) hat sich Greengrass auch gleich einen der größten Namen der Traumfabrik an Land ziehen können. Gepaart mit der Geschichte des von somalischen Piraten entführten Frachtkäpitän Richard Phillips hat der ehemalige Dokumentarfilmer dazu noch eine oscarreife Story dabei, die von den Academy-Mitgliedern geradezu geliebt wird. Doch das aus einer guten Geschichte noch lange kein guter Film hervorgeht, zeigt „Captain Phillips“ einmal mehr überdeutlich. Denn auch wenn auf dem Blatt alles zu stimmen scheint, vermag es Greengrass den Zuschauer nicht auf einer emotional tiefgehenden Ebene zu berühren. So verkommt das Entführungs-Drama schlussendlich zu einer zwar optisch ansprechenden, aber auch überlangen und seelenlosen Hochsee-Hatz.

Tom Hanks

Anfang April 2009 sticht der erfahrene Captain Richard Phillips (Tom Hanks) und seine zwanzigköpfige Crew auf dem amerikanischen Frachter Maersk Alabama in Oman zu See. Während der Fahrt zum Zielhafen Mombasa erreichen Phillips immer wieder Meldungen von Piraten, die regelmäßig Frachter und deren Crew kidnappen um hohe Lösegelder zu erpressen. Um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, trainiert der alarmierte Captain seine Crew. Und tatsächlich, als sich die Maersk Alabama von den großen Schifffahrtsrouten entfernt, nähern sich zwei Schnellboote mit hoher Geschwindigkeit unter der Führung des arbeitslosen Fischers Muse (Barkhad Abdi) dem Frachter. Trotz anfänglich geglückter Ausweichmanöver, kapern schlussendlich vier somalische Piraten das Schiff und setzen Captain Phillips fest. Dieser versucht mit den Kidnappern zu verhandeln, doch als die Situation zu eskalieren droht, flüchten die Somalis mit dem Rettungsboot des Frachters – mit an Bord ist auch Captain Phillips.

Wo Paul Greengrass draufsteht, ist auch Paul Greengrass drin. Nach seinem halb-dokumentarischen Berlinale-Gewinner „Bloody Sunday“ und dem oscarnominierten Thriller-Drama „Flug 93“ wendet sich der Brite erneut einer erschütternden und brutalen Geschichte zu. Doch mit seinem erneut sehr aggressiven Grundton, seiner hektischen Steady-Cam und einem viel zu unfokussierten Schnitt schießt sich der ehemalige Dokumentarfilmer („World In Action“) einmal mehr ins Aus. Denn wie schon bei „Flug 93“ schafft es der Regisseur nicht einen ausgeglichenen Ton anzuschlagen. Hier wird bereits zu Beginn der große Kampf eingeläutet und für den Zuschauer beginnt ein wahres Stress-Feuerwerk für die Augen, denn selbst in den ruhigen Momenten scheinen (nervöse) Schnitte das Bild zu dominieren.

Auch in der Erzählweise wird einem viel zu oft das Bein gestellt. So wird zwar die brutale und rücksichtslose Situation der ehemaligen somalischen Fischer dargestellt, doch wenn es zur tiefergehenden Begründung geht, überlässt man dem Zuschauer sich selbst. Das wäre durchaus akzeptabel, würde eine starke Bildsprache herrschen. Doch der Fokus wird vielmehr auf die Streitereien und Rangkämpfe innerhalb der Piraten gelegt, so dass ein „Warum?“ nahezu vollkommen abhanden kommt. Da die Profile der Entführer aber derart flach ausfällt und nur Captain Phillips ein wenig Tiefe zugestanden bekommt, fällt es zunehmend schwerer mit einem der Charaktere mitzufühlen und dem immer schneller und brutaler werdendem Ton auch emotional gerecht zu werden. So kündigen die Bilder zwar ein erschütterndes und brutales Finale an, doch zu diesem Zeitpunkt hat der Zuschauer längst das Interesse am (bereits bekannten) Schicksal der Involvierten verloren.

Einziger wirklicher Lichtblick in „Captain Phillips“ ist Tom Hanks. Der Ausnahme-Mime schafft es die wirre Dramaturgie einigermaßen zu erden und birgt für den Zuschauer den einzigen wirklichen emotionalen Anhaltspunkt. Doch aufgrund der wirren Kameraführung kann man seinen Leidensweg nie wirklich folgen. Erst in den letzten zehn Minuten erfahren wir, was bei einer klassischen Herangehensweise möglicherweise aus dem Film und vor allem aus dem Schauspiel geworden wäre. Auch Barkhad Abdi als Pirat Muse sowie die restlichen Laienschauspieler versuchen ihr Bestes, bleiben aber aufgrund des Drehbuchs einfache Abziehbildchen. Hier hätten es schlussendlich auch bekanntere Akteure getan, doch der Schritt zu unbekannten Gesichtern war wie schon in „Bloody Sunday“ und „Flug 93“ vermutlich von Greengrass verlangt. Dies dient natürlich in erster Linie dazu, Tom Hanks eine grösstmögliche Bühne zu bieten, die er auf dem Weg zur (sicher bewusst angepeilten) sechsten Oscar-Nominierung im Rahmen der technischen Möglicheiten annimmt. Ob er auf eine Auszeichnung hoffen darf, bleibt abzuwarten. Bekanntlich sind die Academy-Mitgliedern mit einem Durchschnittsalter von fast 60 Jahren überwiegend altmodisch eingestimmt. Ob da der bewusst eingesetzte Effekt des kalten Realismus in „Captain Phillips“ gut ankommt, ist eher fraglich.

Fazit: Paul Greengrass bleibt sich in filmischer Mach und -Gangart einmal mehr treu. Ab und an gibt es Momente, in denen wir erhaschen können, was ein spannender und vor allem hoch-emotionaler Thriller hätte werden können. Doch davon ist „Captain Phillips“ weit entfernt…

Wertung: 3,5/10

Regisseur: Paul Greengrass Drehbuchautor: Billy Ray Kamera:  Kevin Fraser Schauspieler: Tom Hanks; Catherine Keener; Max Martini; Barkhad Abdi; Yul Vazquez Laufzeit: 134 Minuten

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